„Hallo, Menschenkind! Wie schön, deine Bekanntschaft zu machen. Ich heiße Tautropfen, bin ein Wasserwesen und heute ziemlich traurig, musst du wissen. Frau Fuchs hat vergangene Nacht wieder vom Winter erzählt. Sie meinte, im Winter würde alles Waldesgrün und Wiesenbunt einem Glitzerweiß weichen. Auch sagte sie, wir Tauperlen und Wassertropfen wären dann wie verwandelt. Ein wunderschönes Kleid hätten wir dann an, wie Sterne würden wir vom Firmament schweben und Wald und Wiese, Mensch und Tier in eine dicke, weiche Decke hüllen.“
Wenn Tautropfen eine Träne vergießen, dann sieht man das kaum. Denn wie ein Tautropfen selbst ist auch die Tautropfenträne aus Wasser gemacht. Aber glaube mir, Menschenskind, der kleine Tropfen dort unten auf dem Gänseblümchenblatt weint gar bitterlich. Noch nie, noch niemals hatte er sich in seinem Tautropfenleben in eine Schneeflocke verwandeln und mit tausenden anderen Tautropfen einen Winter weiß machen dürfen. Komm, nimm in behutsam auf deine Fingerspitze und trage ihn ein Stück. Es ist nicht weit bis zum Valler Bach. Ein paar Schritte nur. Und jetzt: Lass ihn frei, deinen kleinen Tautropfen, schicke ihn auf eine große Reise. Siehst du? Schon wird er eins mit dem Bach und taumelt und trudelt und sprudelt hinfort. Und wer weiß, wenn du wieder kommst, seht ihr euch vielleicht wieder.
In der Zeit zwischen den flirrenden Sommertagen und den ersten Boten des Herbstes reist dein Tautropfen um die Welt. Der Valler Bach wird zur Rienz, die Rienz zum Eisack und der Eisack zur Etsch. Und die Etsch, das weißt du bestimmt, mündet ins Meer. Und was unser Tautropfen dort sah, was er fühlte, das ist eine ganz eigene Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden. Bald wurde es Zeit, himmelwärts zu steigen und als Wolke mit dem Wind zu reisen, in die fernste Ferne, einmal um das Erdenrund.
Es ist Weihnachten geworden, bei uns im Valsegg. Man kann ihn schon riechen, den Schnee. Wenn du jetzt bloß hier wärst und die Hand ausstrecken könntest, mitten hinein in die klare, kalte Winterluft. Dann würde ganz sanft und leise eine kleine Schneeflocke auf deiner Haut landen, wunderschön und zauberhaft. Und du wüsstest: Das ist dein kleiner Tautropfen, der zu träumen wagte. Tust du es ihm gleich?